Flohpelz

Aus RDK Labor
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englisch: Neck fur; französisch: Petite fourrure; italienisch: Collaretto di pellicia.


Gretel Wagner (2001)

RDK IX, 1288–1293


RDK IX, 1289, Abb. 1. Dt. Priv.bes., um 1560/1580.
RDK IX, 1291, Abb. 2. Berlin, um 1572/1592.
RDK IX, 1291, Abb. 3. Berlin, um 1580.

I.

Als F. wird das Fell vom Marder, Zobel oder Nerz, auch vom Iltis, Luchs, Eichhörnchen und Hermelin bezeichnet, das entweder auf der Schulter getragen oder durch eine kleine Kette am Gürtel befestigt und dann oft in die Hand genommen oder über den Unterarm gelegt wurde (Abb. 2). Kopf und Tatzen des Tieres konnten aus Metall oder aus geschnittenem Stein angefertigt und zusätzlich geschmückt sein (zu weiteren in Schriftquellen belegten Materialien s. [7] S. 471).

Zahlreicher als die „montierten F.“ waren solche „ohn Beschlag“ („sans garniture“: ebd. S. 469).

Die Bezeichnung F. wurde offensichtlich erst im ausgehenden 19. Jh. in die kostümkundliche Terminologie eingeführt; Wendelin Boeheim gebrauchte nach derzeitiger Kenntnis als erster das Wort (Philippine Welser, Innsbr. 1984, S. 67 Anm. 25). Die Annahme, das Pelzchen sollte Ungeziefer anlocken, ist Auslegung von Autoren des 19. und 20. Jh. (vgl. Jacob Heinr. von Hefner-Alteneck, Trachten des chr. MA, Ffm. und Darmstadt 1840-1854, 3. Abt. S. 112; Günther Schiedlausky [9] S. 36).

Als Flohfalle sind andere Geräte überliefert; s. Gottlieb Siegmund Corvinus, Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lex. ..., Ffm. und Lpz. 1739, Sp. 479f.; Krünitz T. 14 (21786) S. 345; [9] S. 29, Abb. 2f. und 7f.

Als modisches Accessoire von Damen aus Herrscherhäusern und Hofadel in Italien sowie, wohl nach diesem Vorbild, auch in den übrigen Ländern Europas wurde der F. in der 2. H. 15. Jh. und im 16. Jh. getragen.

Daß der F. auch Teil der Männermode war, ist unwahrscheinlich, auch wenn entsprechender Besitz durch Inv. bezeugt ist (so vermutet John Hunt als Besitzer eines im Inv. von Westminster Palace 1553 verzeichneten F. den jung verstorbenen engl. König Edward VI. oder dessen Vater Heinrich VIII.: [2] S. 154).

Die ältesten bisher bekannt gewordenen Erwähnungen stammen aus dem 15. Jh.: Inv. Karls des Kühnen von Burgund, 1467 („Item une martre crue pour mectre autour de col, où il a deux rubis qui font les yeulx“: Léon de Laborde, Les Ducs de Bourgogne, T. 2,2, Paris 1851, S. 117 Nr. 3045); Isabella d’Este erbat 1490 „un zebellino con l’ossa del capo“ [3, S. 101]; um diese Zeit gibt es auch die ersten Darstellungen (Grabmal der Beatrice d’Este in der Certosa von Pavia, 1497 von Cristoforo Solari: [6] Abb. 8).

II.

In Italien waren F. bis 1600 in Mode.

Zahlreiche, vorwiegend oberital. Bildnisse von Damen, insbesondere aus der M. 16. Jh., bezeugen, daß hier der Mittelpunkt dieser Mode lag (vgl. [1] Abb. 277, 312, 321, 401f., und 456; [3] Abb. 21, 49, 51-54, 110 und 123; vgl. auch [6] S. 42f.). Daß das Tragen gegen 1600 außer Gebrauch kam, läßt sich z. B. dem Text in Cesare Vecellio, Habiti antichi et moderni di tutto il Mondo, Ven. 1598, Bl. 74, entnehmen: In Venedig trug höchstens die Frau „da sessant’ anni à dietro“ noch einen F. um den Nacken gelegt (s. auch den Holzschnitt Bl. 73v).

In manchen Orten Oberitaliens war der F. auch Bestandteil der Brautkleidung (z. B. in Padua: ebd. S. 158, Holzschnitt ebd. Bl. 157v).

In den anderen europ. Ländern ist das Vorkommen von F. vor allem durch Schriftquellen, oft Inventare, und durch Bildnisse bezeugt.

Frankreich: Der in Paris tätige Goldschmied Pierre Gedoyn erhielt 1529 Geld für „une teste de martre avec ses quattres pathes qu’il a faictes après le naturel“ [2, S. 152]. - Spanien: Das Bildnis der Kgn. Elisabeth (Isabel) von Valois zeigt die Gemahlin Kg. Philipps II. mit einem F. (Gemälde von Alonso Sanchez Coello nach Juan Pantoja de la Cruz, nach 1559: [2] S. 153 und 156 Anm. 10, mit weiterem span. Beisp.; Kat. Mus. del Prado, Inv. general de pinturas, Bd. 1, Madrid 1990, S. 708 Nr. 2708; s. auch [8] S. 31 Abb. 52). - England: Zu den Besitztümern der Kgn. Maria Stuart 1561 und 1566 gehörte eine größere Anzahl von F., z.T. mit kostbarer Goldschmiedearbeit ([2] S. 156 Anm. 5 und 5 a; [8] S. 404); der Earl of Leicester schenkte Kgn. Elisabeth I. zum Neuen Jahr 1584/1585 einen F. ([2] S. 154 und 156 Anm. 12; [8] S. 407). Noch in einem Inv. von 1634 ist ein F. aufgeführt; J. Hunt vermutet ein Erbstück [2, S. 156 Anm. 13]. Bildnisse: Porträt der Lady Frances Sidney (ebd. Abb. 3); unbekannte Damen des elisabethanischen Hofes, um 1593/1595 (Janet Arnold, Queen Elizabeth’s Wardrobe Unlock’d, Leeds 1988, Abb. 391 und 428).

Deutschland: F. kommen von der M. 16. Jh. an auf Porträts vor und sind in Schriftquellen hinsichtlich ihres Besatzes oft detailliert beschrieben. Bildnisse: Hans Müelich, Ganzfigurenbildnis der Anna von Österreich, Gemahlin Hzg. Albrechts V. von Bayern, 1556 (Wien, Kh. Mus.: [9] Abb. 12); Halbfigurenbildnis der Gfn. Maria Aegyptiaca von Oettingen, Gemahlin des Wild- und Rheingrafen Philipp Franz von Salm (Schloß Hohenbaldern bei Bopfingen, Fürstl. Oettingen-Wallerstein’sche K.slgn.: [7] Abb. 4). - In Inv. sowie in Angeboten und Lieferungen von Agenten sind F. oder für solche bestimmte Teile in der 2. H. 16. Jh. nicht selten: Inv. des Erzhzg. Maximilian, 1550/1557 (Jb. Kaiserh. 7, 1888, T. II S. CVII Nr. 4858); Angebot des Mailänder Agenten des bayer. Erbprinzen Wilhelm, Prospero Visconti, 1573 (Henry Simonsfeld in: Kgl. Bayer. Akad. der Wiss., Abhn. der Hist. Classe 22, 1902, S. 317 Nr. 122); Lieferung an die Gemahlin des Erbprinzen, Renata von Lothringen, 1573 (ebd. S. 310 Nr. 121); Angebot der Brüder Sarachi in Mailand an Hzg. Albrecht V. von Bayern im selben Jahr (Rud. Distelberger, Jb. Kh. Slgn. 71 [N.F. 35], 1975, S. 161f., Nr. 4f.); Brautschatz 1585 und Nachlaßinv. 1597 der Jacobe von Baden (Elfriede Heinemeyer, Waffen- und Kostümkde. 7, 1965, S. 1-12, bes. S.U).

III.

In Bergkristall geschnittene Köpfe und, in einem Fall (Abb. 1), Tatzen gelten als Mailänder Arbeiten um 1560/1580 [9, S. 31 u. ö.]; bei dem F.kopf um 1560/1580 in der Slg. Thyssen-Bornemisza in Lugano wird für die Montierung in Goldemail mit Rubinen und emaillierten Rosetten Entstehung in Frankreich erwogen (ebd. Abb. 18; Ausst.kat. „Faszination Edelstein“, Darmstadt 1992-1993, S. 152f. Nr. 47). - Unter den im Besitz von Kgn. Maria Stuart befindlichen F. hatte einer einen Kopf aus Gagat (Inv. von 1561: [8] S. 404); der von P. Visconti 1573 dem bayer. Erbprinzen Wilhelm angebotene Kopf für einen F. war aus Lapislazuli.

F. mit aus Gold gefertigtem Kopf samt Tatzen sind vielfach auf Gemälden wiedergegeben und in Inventaren verzeichnet; erhalten ist nach derzeitiger Kenntnis nur ein Exemplar, eine vielleicht venezianische Arbeit um 1550/1560, mit Goldemail, Edelsteinen und Perlen besetzt (Baltimore, The Walters Art Gall.: [2] Abb. S. 150 und 7f.; [9] Abb. 16).

Aus vergoldetem Kupfer gearbeitet ist ein F.kopf mit echten Zähnen (Paris, Mus. nat. du moyen-âge, M. 16. Jh.: ebd. Abb. 19).

Gelegentlich war dem F.kopf eine Uhr oder ein Pfeifchen zum Herbeirufen der Dienerschaft integriert [7, S. 471].

Das Aussehen eines F. hielt Hans Müelich um 1546/1555 in einer auf Pergament in Öltempera ausgeführten Malerei detailliert fest ([2] Abb. 6; [9] Abb. 11). Entwurfszeichnungen für (von) Kunsthandwerker(n) geben entweder allein den Kopf des F. (Giulio Romano, Zchg. in Besançon, Mus. des B.-A. et d’Arch.: [8] Abb. 51; [9] Abb. 24), unter Einschluß der Montierung (Jean Collaert zugeschr. Zchg. um 1570/1580 in Wien, Akad. der bild. K.: ebd. Abb. 21; vgl. auch [7] Abb. 13), oder auch die Tatzen wieder (Abb. 3).

Zu den Vorlageblättern für Goldschmiede, die Erasmus Hornick 1562 schuf, gehören zwei Radierungen mit Wiedergabe von Kopf und Tatzen eines F. [9, Abb. 20 und 22].

Zu den Abbildungen

1. Dt. Priv.bes., Kopf und Tatzen für einen F. Bergkristall, Montierung Goldemail, Perlen, Rubine, Smaragde. Oberital., Kristallschnitt Mailand, um 1560/ 1580. Nach [9] Abb. 13.

2. Berlin, K.bibl. StMPK, Lipperheidesche Kostümbibl., Nr. Db4, Stammbuch des Julius und des Stephan Bayr von Nürnberg, Bl. 19, Farbige Pinselzeichnung. Titelbl. 1573 dat., Eintragungen 1572-1592. Foto Bibl. (Paulmann).

3. Berlin, K.bibl. StMPK, Inv.nr. HdZ. 59, Entwurf für die Montierung eines F. Federzchg., 16,6 × 16,3 cm. Um 1580. Foto Bibl. (Paulmann).

Literatur

1. Abbigliamento e costume nella pittura ital. Rinascimento. Introduzione, testi didascalici a annotazioni alle tavole di Ferruccia Cappi Bentivegna, Rom 1962. -2. John Hunt, Jewelled Neck Furs and „Flohpelze“, Pantheon 21, 1963, S. 151-157. - 3. Rosila Levi Pisetzky, Storia del costume in Italia, Bd. 3, Mail. 1966. - 4. H. L. F., The Lady and the Marten, The Art News 66, 1967, Nr. 7 S. 40f. - 5. Richard H. Randall, A Mannerist Jewel, Apollo 87, 1968, Nr. 73 (n. s.), S. 176-178 (fast gleichlautend: ders., The Bull. of the Walters Art Gall. 20, 1967/1968, Nr. 1 S. 1-3). - 6. Francis Weiss, Bejewelled Fur Tippets - and the Palatine Fashion, Costume 1970, Nr. 4 S. 37-41. - 7. Günther Schiedlausky, Zum sog. Flohpelz, Pantheon 30, 1972, S. 469-480. - 8. Yvonne Hackenbroch, Renss. Jewellery, Ld. 1979 (Lizenzausg. Mchn. 1979). - 9. G. Schiedlausky, Wie man Flöhe fängt, K. und Antiquitäten 12, 1987, H. 4 S. 26-38.